“Wahlkabine Universitätspolitik”: Fragen und Antworten zur Zukunft der österreichischen Universitäten

Sammlung hochschulpolitischer Standpunkte

Um vor der Nationalratswahl 2024 all jenen, die an Universitätspolitik interessiert sind, eine Entscheidungshilfe anzubieten, haben wir über die Sommermonate Informationen über die hochschulpolitischen Standpunkte aller antretenden Parteien, Listen und Bewegungen eingeholt. Ziel dieser ‘Wahlkabine’ war es allerdings nicht, Präferenzen auszuloten, abzugleichen und entsprechende Wahlempfehlungen abzugeben. Ausgehend von den politischen Gesprächen und Recherchen der letzten zwei Jahre war es uns vielmehr ein Anliegen, unsere Standpunkte vor der Wahl in klar ausformulierter Form in Erinnerung zu rufen und auf die hiermit verbundenen Fragen ebenso klare Antworten zu erhalten. 

Mehrfach nutzbare Resultate

Wir haben uns deshalb für ein zweistufiges Vorgehen und eine zwei Ebenen umfassende Navigationshilfe zur Nationalratswahl 2024 entschieden. In einem ersten Schritt haben wir einen ausführlichen, Problemskizzen enthaltenden Fragebogen an alle wahlwerbenden Parteien ausgesandt. Auf diesen haben fast alle mit – mal längeren, mal kürzeren – Statements geantwortet, die wir auf unserer Website als Volltexte zur Verfügung stellen. In einem zweiten Schritt war es uns wichtig, einen leicht lesbaren, kompakten Überblick und entsprechenden Parteienvergleich zu erstellen. Hierfür haben wir die Ergebnisse aus den Rückmeldungen in der untenstehenden Pro- und Contra-Tabelle zusammengefasst (hier auch in einer PDF-Version), den einzelnen Parteien allerdings die Letztentscheidung über die Einordnung überlassen. Die Resultate sind somit mehrfach nutzbar: zum einen als Orientierungshilfe im Dickicht der aktuellen Wahl- und Parteiprogramme und zum anderen als Informationsdossier und -archiv der dahinterstehenden, langfristigen Parteiprogramme, die ein recht ernüchterndes Bild der Zukunft der öffentlichen Universitäten zeichnen.

Die Pro- und Contra-Tabelle: Commitments und Selbstverortungen 

Die Antworten der zwölf angeschriebenen Parteien und Listen auf unseren Fragebogen zur Zukunft der österreichischen Universitäten waren sehr unterschiedlich. Lediglich von einer wahlwerbenden Partei – der MFG – haben wir gar keine Rückmeldung erhalten, weshalb sie weder in der nachfolgenden Tabelle noch in der Rubrik der Volltexte aufscheint. Den entgegengesetzten Weg haben SPÖ, Grüne, KPÖ sowie die Listen GAZA und KEINE gewählt: Sie haben sich mit unseren Fragen, die in acht Themenschwerpunkte gegliedert waren, im Detail auseinandergesetzt und ihre Antworten direkt in den von uns ausgesandten Fragenkatalog eingefügt. Diese ausführlichen Stellungnahmen legen ihre Prämissen und Gegenwartsbefunde offen, begründen ihre Positionen, formulieren Lösungsvorschläge und enthalten – was uns besonders freut – viele eindeutige Commitments. FPÖ und NEOS haben die (zugegeben zahlreichen) Einzelfragen in klar strukturierten, auf unsere acht Schwerpunkte explizit Bezug nehmenden Statements beantwortet. Auch sie geben damit – in kondensierter Form – einen guten Einblick in ihre universitätspolitischen Positionen und Vorhaben. ÖVP und Liste Madeleine Petrovic (LMP) haben sich auf unsere Bitte um Auskunft mit zwei- bis dreiseitigen Gesamtstatements zurückgemeldet. Die Liste Madeleine Petrovic nimmt dabei auf die von uns aufgeworfenen Fragen klar Bezug. Im Statement der ÖVP lässt sich hingegen – bis auf eine geringfügige Ausnahme (Wissenschaftsskepsis) – nur ein schemenhafter Zusammenhang zu den von uns gestellten Fragen erkennen. Zwei Kleinparteien, die Bierpartei und die Gelben, haben uns ihre hochschulpolitischen Positionen nur als Teil ihrer Antwortmails übermittelt, damit aber ebenfalls ihr Interesse an unseren universitätspolitischen Anliegen zum Ausdruck gebracht.

Bevor wir näher auf die Stellungnahmen eingehen, zunächst – für einen ersten, vergleichenden Überblick – zum Ergebnis unserer zweiten Fragenrunde. In diesem zweiten Schritt haben wir die acht Themenbereiche – sieben klar definierte Problematiken und ein abschließender, offener Block – in möglichst knapp formulierte Schlüsselfragen übersetzt und um Pro- oder Contra-Antworten gebeten. Da uns zu diesem Zeitpunkt die Volltext-Statements bereits vorlagen, haben wir die Option „keine Antwort“ noch weiter ausdifferenziert, um den nicht auf Pro oder Contra reduzierbaren, nachvollziehbar dargelegten alternativen Lösungsvorschlägen gerecht zu werden. Überraschenderweise sprach sich die ÖVP in diesem Schritt gegen eine Aufnahme in die Pro- und Contra-Tabelle aus, was ihr Fehlen in dieser Überblicksdarstellung erklärt.

Wer steht wofür?

✅ = (überwiegend) dafür

❌ = (überwiegend) dagegen

– = keine Antwort bzw. keine eindeutige Position

-* = anderer, im Volltext näher ausgeführter Zugang zur Lösung des angesprochenen Problems

Parteien
Themen/Fragen
SPÖFPÖGRÜNENEOSBIERKPÖGAZALMPKEINEBGE
1) Funktionen und Aufgaben der öffentlichen Universitäten
Einschränkung des “öffentlichen Auftrags” auf Kosten gesamtgesellschaftlicher Systemleistungen (Allgemeinwohl, Bildung, Demokratisierung, Schnittstelle Forschung/Öffentlichkeit usw.)
Entkopplung der öff. Universitäten vom Bildungssystem durch deren Umbau zu “Forschungsuniversitäten” und durch eine weiter zunehmende Auslagerung der BA- und MA-Lehre (an PHs, FHs usw.)-*
Beibehalt des Prinzips “forschungsgeleiteter Lehre” auf allen Ausbildungsstufen (BA, MA, PhD); für Maßnahmen gegen die laufende Entkopplung von Forschung und Lehre-*
2) Stellenwert der öffentlichen Universitäten
Budgetäre und personelle Zurückstufung (“Konsolidierung”) der öff. Universitäten in Relation zu anderen (öffentlich finanzierten) Hochschultypen und Forschungseinrichtungen
Wiederherstellung der Gleichrangigkeit von Hochschul- und FTI-Politik (= Forschungs-, Technologie- und Innovationspolitik)
Fortführung der bisher vom Österr. Wissenschaftsrat erbrachten Leistungen (Studien, Analysen) in gleichbleibender Qualität (Hochschulexpertise) und Ausrichtung (Orientierung am öffentlichen Auftrag)-*
3) Leistungsmessung und Rankings
Nutzung der großen Universitätenrankings (THE, QS, Shanghai) als Instrument der institutionellen Leistungsmessung durch das BMBWF mit steigender Budgetwirksamkeit
Reform der individuellen und institutionellen Leistungsmessung durch Umsetzung der Forderungen von CoARA (= Coalition for Advancing Research Assessment)-✅
Weitere Spezialisierung und Konsolidierung der Universitäts- und Forschungslandschaft zugunsten konzentrierter “Spitzenleistungen” in einigen wenigen (politisch ausverhandelten) Schwerpunktbereichen (aktuell u.a. Quantenforschung, Künstliche Intelligenz, Life Sciences)-*-*
Erhaltung der bestehenden, breit gefächerten Forschungslandschaft (multidisziplinäre Einrichtungen) und Sicherstellung interdisziplinärer Grundstrukturen und Basiskompetenzen zur Bewältigung nicht vorhersehbarer, komplexer Herausforderungen-*
4) Personalpolitik
Senkung des Prozentsatzes befristet Beschäftigter und Ausbau unbefristeter Stellen jenseits der (Voll-)Professur
Abschaffung der 8-Jahres-Obergrenze im Drittmittelbereich (Reform von §109 UG)-*-*
Abschaffung des “Kuriensystems” zugunsten egalitärer und partizipativer Modelle (z.B. Facultymodell, Departmentmodell usw.)
Diversifizierung möglicher Karrierewege-*
5) Finanzierung
Erhöhung der staatlichen Basisfinanzierung der öff. Universitäten (= absolute Steigerung)
Erhöhung der Basisfinanzierung in Relation zur staatlichen Drittmittelfinanzierung (= relative Steigerung, d.h. Korrektur staatlicher Finanzierungskanäle)
Qualitätssteigerung der Entscheidungsprozesse bei der Vergabe öffentlicher Drittmittel: unabhängige, universitätsexterne Entscheidungsinstanzen, mehr Transparenz & freier Wettbewerb, gleichbleibendes/höheres Begutachtungsniveau
(Deutliche) Erhöhung der Studiengebühren, einschließlich nachgelagerter, nachträglich und einkommensabhängig zu entrichtender Zahlungen
6) Internationalisierung
(Rankinginduzierte) Einengung des Indikators “Internationalität” auf Incoming-Outgoing-Statistiken in den Bereichen Personalrekrutierung und Studierendenmobilität
Abschaffung festgelegter, zu maximierender “Auslandsanwerbungsquoten” in Hochschulplänen, Leistungsvereinbarungen (LV) und LV-Begleitgesprächen; Überprüfung des Verdachts inländerdiskriminierender Vorgaben und Praktiken bei der Stellenbesetzung
Sicherstellung eines Mindestmaßes österreichbezogener Forschung in sachlich gerechtfertigten Schlüsseldisziplinen
7) Autonomie und Management, Partizipation und Kontrolle
Neue universitäre Führungskultur im Sinne der – gegen den aktuellen Braindrain gerichteten – OECD- und EU-Empfehlungen “to attract and retain the best talents”: Aufwertung der Mitarbeiter:innen, Entprekarisierung, Entmetrifizierung, attraktivere Arbeitsbedingungen und Karriereoptionen
Aufhebung der jüngsten Maßnahmen zur Wiedereinschränkung der 2002 eingeführten Universitätsautonomie (Beziehung Senat-Unirat usw.)
“Universitätsautonomie neu” durch Stärkung der Mitsprache-, Einsichts- und Kontrollrechte aller Mitarbeiter:innen: für eine Weiterentwicklung des aktuellen (auf das Prinzip autonomer Rektorate reduzierten) Modells der Universitätsautonomie
8) Vorhaben in Regierungsverhandlungen und LegislaturperiodeSiehe hierzu die Ausführungen in den jeweiligen Stellungnahmen/ Volltexten

Ihr könnt die Tabelle hier auch in einer kompakteren Ansicht herunterladen: Pro- und Contra-Tabelle (pdf)

Abkürzungsverzeichnis und Verlinkung zu den jeweiligen Stellungnahmen/Volltexten

Kürzel und Parteiennamen: BMI:

ÖVPKarl Nehammer – Die VolksparteiStellungnahme im Volltext (pdf)
SPÖSozialdemokratische Partei ÖsterreichsStellungnahme im Volltext (pdf)
FPÖFreiheitliche Partei ÖsterreichsStellungnahme im Volltext (pdf)
GRÜNEDie Grünen – Die Grüne AlternativeStellungnahme im Volltext (pdf)
NEOSNEOS – Die Reformkraft für dein neues ÖsterreichStellungnahme im Volltext (pdf)
BIERDie BierparteiStellungnahme im Volltext (pdf)
KEINEKeine von denenStellungnahme im Volltext (pdf)
KPÖKommunistische Partei Österreichs – KPÖ PlusStellungnahme im Volltext (pdf)
LMPListe Madeleine PetrovicStellungnahme im Volltext (pdf)
GAZAListe GAZA – Stimmen gegen den VölkermordStellungnahme im Volltext (pdf)
BGEDie GelbenStellungnahme im Volltext (pdf)
MFGMFG Österreich. Menschen – Freiheit – Grundrechtekeine Antwort erhalten

Über die Bedeutung des Wahlausgangs für die Zukunft der Universitäten

Der 29. September naht – und mit ihm eine weitere Wahl, in deren Vorfeld sich die Fronten weiter zuspitzen und bei der grundlegende und weitreichende Richtungsentscheidungen getroffen werden. Im Falle der Hochschul- und Universitätspolitik sind die sehr unterschiedlichen Positionen der wahlwerbenden Parteien in den nächsten Wochen und Monaten noch aus zwei anderen Gründen von höchster Bedeutung: Unmittelbar nach dem Wahltermin beginnen die letzten Verhandlungsrunden zu den jeweils für drei Jahre geltenden Leistungsvereinbarungen zwischen Ministerium und Universitäten, in denen das Problem der hohen Befristungsquote und der durch §109 UG ausgelösten Akutsituation ein hoch umstrittenes Thema darstellt. Wie die hier vereinbarten Lösungen letztlich aussehen werden, ist derzeit noch offen und wird durch das Wahlergebnis mit Sicherheit beeinflusst. Durch die jüngste, recht rätselhafte Ankündigung von Minister Martin Polaschek für Entfristungen im Drittmittelbereich wurde die ‘Blackbox Personalpolitik’ zwar um eine weitere Facette bereichert. Die Umsetzung dieses Bekenntnisses dürfte jedoch mit mehreren, für die Bediensteten nachteiligen Umstrukturierungen und ‚Gegenleistungen‘ verknüpft sein, etwa mit der Forderung nach fix zugesagten, universitätsintern zu verteilenden ‘Drittmittel’-Budgets. Auch in den aktuell laufenden Verhandlungen zwischen den großen Interessensvertretungen der Arbeitgeber:innen und -nehmer:innen – des Dachverbands der Universitäten einerseits, der Gewerkschaft öffentlicher Dienst (GÖD, BV13) andererseits – stehen folgenreiche Entscheidungen in personalpolitischen Fragen bevor. Die Frage, wie sich der hohe Prozentsatz befristet Beschäftigter reduzieren lässt, dürfte bislang jedoch keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielen. Die Hoffnung, dass sich an diesem Umstand noch etwas ändert, geben wir jedoch nicht auf!

Unser aller Engagement für bessere Arbeitsbedingungen war somit – trotz einiger Wermutstropfen – bislang erfolgreich: Es liegen gute, weitsichtige und nachhaltige Vorschläge auf dem Tisch. Die zukünftigen parlamentarischen Mehrheiten – und damit die Umsetzung dieser Ideen – sind allerdings ungewisser denn je. Und auch so manche Parteiposition ist weniger deutlich, als man es sich als Wähler:in wünscht. 

Genau jene Partei, die die Hauptverantwortung für die Wissenschafts- und Hochschulpolitik der letzten 25 Jahre trägt – die ÖVP –, hat zwar der Veröffentlichung ihres Statements zugestimmt, enthielt sich jedoch einer Verortung in der Pro- und Contra-Tabelle. Angesichts des Umstands, dass wir den politischen Kurs der letzten Jahre als akut Betroffene – notgedrungen – kritisch hinterfragen, ist diese Enthaltung legitim und verständlich. Und auch wenn es einige Geduld verlangt, so lassen sich die ÖVP-Positionen in den Papieren, Verordnungen, „Pakten“ und Regierungsvorlagen der zu Ende gehenden Legislaturperiode nachlesen und zweifelsfrei zuordnen. Dass reale Regierungsverantwortung eindeutige Bekenntnisse für die ‚kleinere‘ Regierungspartei noch schwieriger macht, zeigen die Antworten der Grünen. Sie nehmen in ihrem Statement unseres Erachtens deutlich progressivere Positionen ein als in der obenstehenden, offiziellen Selbstverortung, was insbesondere in den Bereichen Personalpolitik, Partizipation und Finanzierung hervortritt.

Pro-/Contra-Tabelle und Stellungnahmen unter der Lupe: Welche parlamentarischen Mehrheiten zeichnen sich ab? 

In Summe bieten die Pro- und Contra-Rückmeldungen viel Anlass zu hoffen, dass in einigen wichtigen hochschul- und universitätspolitischen Bereichen der vom Großteil des Universitätspersonals ersehnte Kurswechsel bevorsteht. So geben nahezu alle Parteien ein klares Bekenntnis zum Beibehalt der öffentlichen Universitäten ab. Sie bekennen sich damit auch zu den gesamtgesellschaftlichen Systemleistungen dieses besonderen, historisch geprägten Hochschultyps zugunsten des Allgemeinwohls, gesamtgesellschaftlicher Aufklärung, Bildung und Demokratisierung. Beide Commitments sind vor dem Hintergrund der Entscheidungen der zu Ende gehenden Legislaturperiode alles andere als selbstverständlich. 

Beschränkt man den Blick auf die Bekenntnisse in der Pro- und Contra-Tabelle, so fällt das Votum zum Umbau der öffentlichen Universitäten zu „Forschungsuniversitäten“ ebenso eindeutig aus: Hier ergibt sich ein fast einstimmiges, großes Nein. Dies ist auch deshalb erstaunlich und wegweisend, weil dieser Umbau – einschließlich der damit verknüpften Herauslösung der öffentlichen Universitäten aus dem aktuellen, dreistufigen Bildungssystem – in den Universitäts- und Hochschulentwicklungsplänen für 2025-2030 bereits beschlossen wurde (siehe Gesamtösterreichischer Entwicklungsplan, GUEP, 2025-2030 und Österreichischer Hochschulplan, HoP, 2030). Berücksichtigt man diesbezüglich die Volltext-Statements, ändert sich dieses Bild: Verbunden mit Plädoyers für eine verstärkte “Arbeitsteilung” zwischen den Hochschultypen und für “Effizienzsteigerungen” durch gestraffte, schmale Leistungsprofile zeichnet sich eine weitgehende Zustimmung zur Umstrukturierung der öffentlichen Universitäten zu Forschungsuniversitäten ab. 

Verlässt man sich auf die für die Tabelle freigegebenen Ja/Nein-Antworten, scheint die Zukunft der forschungsgeleiteten Lehre gesichert zu sein. Bis auf kleine Ausnahmen gibt es auch hier ein breites, parteienübergreifendes Bekenntnis für den Beibehalt der im UG 2002 verpflichtend festgelegten Verschränkung von Forschung und Lehre auf allen (!) Ausbildungsstufen (BA, MA, PhD). Auch hier gelangt man jedoch zu einem tendenziell entgegengesetzten Ergebnis, wenn man die detaillierten Ausführungen in den Volltext-Stellungnahmen liest: Trotz vieler Bekenntnisse zum Beibehalt des Prinzips der forschungsgeleiteten Lehre offenbart sich, dass deutlich mehr Parteien mit der Entkopplung von Forschung und Lehre sympathisieren, als in der Tabelle ersichtlich. Diese positive Einstellung zu einer verstärkten Trennung von Forschungs- und Lehraufgaben zugunsten einer “effizienzsteigernden Spezialisierung” und “Reduktion von Doppelgleisigkeiten” (z.B. zwischen PHs/ FHs und Universitäten) betrifft sowohl die institutionelle (Hochschultypen) als auch die personelle Ebene (Arbeitsverträge) der Hochschulpolitik. 

In den zwei darauf folgenden Themenblöcken treten die zunehmend unterschiedlichen Zukunftsvorstellungen der wahlwerbenden Parteien bereits in der Pro- und Contra-Tabelle deutlich zutage. Dies zeigt sich auch in der steigenden Zahl an Enthaltungen („keine Antwort“). So wird bereits die Frage nach einer notwendigen, quantitativen „Konsolidierung“ der öffentlichen Universitäten zugunsten anderer Hochschultypen sehr kontrovers beantwortet. Auch in der hiermit eng verknüpften Frage zur angestrebten Beziehung zwischen Wirtschafts-, Forschungs- und Universitätspolitik (Unterordnung versus Gleichrangigkeit) gehen die Ansichten deutlich auseinander. Noch klarer wird die diesbezügliche Spaltung des politischen Feldes bei der darauffolgenden Frage: Sollen die Universitäten ihr jeweiliges Leistungsspektrum – zugunsten befristeter, jeweils für die nächsten fünf Jahre politisch ausverhandelter Forschungs- und „Drittmittelschwerpunkte“ – (ausschließlich) weiter ‚verschlanken‘? Oder ist es ebenso wichtig, die bestehende Vielfalt, Multi- und Interdisziplinarität in Forschung und Lehre zugunsten neuer, nicht vorhersehbarer Herausforderungen zu erhalten?

Vor dem Hintergrund dieser Kontroversen und Pattstellungen sind die Selbstpositionierungen und Commitments im Bereich der Personalpolitik umso eindrucksvoller. Abgesehen von signifikanten Enthaltungen in den bekannten Streitfragen wurden auch alle Subfragen ausschließlich (!) zustimmend beantwortet. Bemerkenswert ist, dass – gemeinsam mit FPÖ, NEOS und KEINE – nun auch die SPÖ für eine Abschaffung der 8-Jahres-Obergrenze im Drittmittelbereich eintritt. Berücksichtigt man, dass dies auch für die ÖVP ein klares Ziel darstellt, hätte man eine breite parlamentarische Mehrheit für die Einführung des Allgemeinen Arbeitsrechts in diesem Bereich. Diesen Punkt gilt es in den nächsten Monaten im Blick zu behalten. Während zur Abschaffung des Kuriensystems nur knapp die Hälfte der Parteien (SPÖ, Grüne, KPÖ, GAZA, KEINE) klar Stellung bezieht, dominiert bezüglich der Forderung nach diversifizierten Karriereoptionen ein klares Ja. Ein universitätspolitischer Kurswechsel ist in dieser Hinsicht somit in greifbarer Nähe. 

Auf den ersten Blick ebenso einhellig fällt das Urteil bezüglich der bekannten, internationalen Universitäten-Rankings (THE, QS World, Shanghai) aus. Hier sprechen sich mit wenigen Ausnahmen (NEOS, Bierpartei, BGE) alle wahlwerbenden Gruppen gegen die Nutzung der etablierten Rankings als Instrument der Leistungsmessung, Budgetverteilung und als Leitlinie inneruniversitärer Umstrukturierungen aus. Dies ist insofern spannend, als die Verbesserung der Rankingpositionen der österreichischen Universitäten ein hochrangiges, explizit festgeschriebenes Ziel in den aktuell geltenden politischen Vorgaben darstellt. Und erst unlängst hat die ÖVP wiederholt und ausdrücklich gegen eine diesbezügliche Änderung Stellung bezogen. 

Eine ähnliche Tendenz zeigt sich bei der Frage zur Zukunft des bisherigen Kurses in Sachen Studiengebühren. Mit Ausnahme der (sich enthaltenden) FPÖ und der NEOS bekennen sich alle Parteien zum Beibehalt des bisherigen Systems. Bei diesem Thema fällt umso mehr ins Gewicht, dass sich die ÖVP hier nicht nur in unserer ‘Wahlkabine’, sondern generell sehr bedeckt hält. Ob erhöhte Studiengebühren in der kommenden Legislaturperiode als Mittel der Finanzierung der öffentlichen Universitäten herangezogen werden, ist also zurzeit gänzlich offen.

Latente Widersprüche, stille Allianzen und vergessene Fragen

Die Frage nach etwaigen Studiengebühren gehört zu jenen Bereichen, in denen die tabellarischen (Selbst-)Positionierungen der Parteien sehr deutlich sind und keine (signifikanten) Widersprüche zu ihren weiteren Commitments oder zu ihren ausformulierten Stellungnahmen hervortreten. Ganz anders sieht dies bei den beiden letzten großen Themenfeldern aus: bei den Fragen zur Basis- und Drittmittelfinanzierung sowie zu „Autonomie und Management, Partizipation und Kontrolle“. Obwohl es in der Stellungnahme der GRÜNEN heißt, dass ein Budget von 16 Mrd. für die nächsten drei Jahre (2025-2027) bereits feststeht, sind die Antworten auf die Frage nach der Notwendigkeit eines erhöhten Globalbudgets (= Basisfinanzierung) sehr durchmischt. Eindeutiger werden die diesbezüglichen Fronten bei der darauffolgenden Frage. Hier sprechen sich die SPÖ, die KPÖ und die Liste GAZA für eine Korrektur der Relation von Basis- und Drittmittelfinanzierung zugunsten einer Erhöhung des Globalbudgets aus. 

In den Volltext-Stellungnahmen wird die Forderung nach einer ausgeweiteten Grundfinanzierung damit begründet, dass ein ausreichendes Basisbudget die entscheidende Grundbedingung für mehr Kontinuität im Personalbereich – also einen höheren Prozentsatz unbefristeter Arbeitsverhältnisse – darstelle. Darüber hinaus wird argumentiert, dass die Freiheit von Lehre und Forschung durch die steigende Abhängigkeit von stetig wechselnden Bedingungen, Chancen und Geldgeber:innen im Bereich der öffentlichen und privaten Drittmittelförderung zunehmend unterminiert werde. FPÖ, NEOS und – überraschenderweise – auch GRÜNE sind für den Beibehalt der aktuellen Relation von Basis- und staatlicher Drittmittelfinanzierung, wobei letztere in den letzten Jahren verblüffend schnell und exponentiell anstieg. Berücksichtigt man, dass die ÖVP, die für diese Steigerung verantwortlich ist, ebenfalls diesen Kurs beibehalten will, zeichnet sich – ungeachtet der damit verbundenen Folgen in den Bereichen Personalpolitik und akademische Freiheit – eine klare parlamentarische Mehrheit für einen weiteren Ausbau kurzfristiger, instabiler Finanzierungskanäle ab. 

Der Forderung, dass angesichts der bereits jetzt sehr hohen Summen öffentlicher Drittmittel eine entsprechend hohe, gesteigerte Qualität der Vergabeprozesse vonnöten ist, stimmen SPÖ, FPÖ und NEOS zwar zu. Diese Commitments müssen im Kontext der aktuellen politischen Linie jedoch genau gelesen werden. Die derzeitige Drittmittelpolitik ist von drei Tendenzen geprägt: Die Tendenz geht erstens zur Vereinfachung der Vergabe der öffentlichen Gelder, zweitens zur Reduktion der Unabhängigkeit der vergebenden Institution und drittens zur Senkung des Begutachtungsniveaus, was sich exemplarisch an der Exzellenzinitiative zeigt. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Volltext-Statements der NEOS wie der FPÖ mit dem hier von der ÖVP eingeschlagenen Kurs deutlich stärker sympathisieren, als in der Pro- und Contra-Tabelle ersichtlich. Die Wahrscheinlichkeit, dass es in naher Zukunft diesbezüglich zu einem Kurswechsel kommt, ist somit verschwindend gering. 

Ganz anders sehen die Pro- und Contra-Positionierungen im letzten der von uns direkt abgefragten Themenfelder aus: beim Zusammenhang von „Autonomie und Management, Partizipation und Kontrolle“. Während innerhalb der neuen und kleineren Parteien klare Zustimmung zu den von uns formulierten Vorschlägen dominiert, antworten die etablierten Parlamentsparteien hier sehr kontrovers und mit vergleichsweise vielen Enthaltungen. Zudem ist dieser Fragen- und Antwortblock durch eine überdurchschnittlich hohe Zahl mehr oder weniger latenter Widersprüche gekennzeichnet. (Dies gilt sowohl für die Beziehung zwischen den jeweiligen Tabellenantworten und Volltext-Stellungnahmen als auch für die Gesamtheit der jeweils abgegebenen Pro- und Contra-Antworten.) Hierbei ist freilich zu berücksichtigen, dass wir beim Thema Universitätsautonomie bewusst und gezielt einen neuen Weg einschlagen: Unter dem Stichwort “Universitätsautonomie neu” verknüpfen wir die Autonomiefrage mit der Frage gestärkter Mitsprache-, Einsichts- und Kontrollrechte aller Mitarbeiter:innen. Wir stellen uns damit gegen die gängige Praxis, die Autonomiedebatte (unseres Erachtens fälschlicherweise) mit der vertrauten, altgedienten Konfliktfront Markt versus Staat gleichzusetzen und die Auseinandersetzung an diesem Punkt – als altbekannte, nicht weiter diskussionswürdige, ideologische Pattstellung – zu beenden. Problematisch daran ist, dass dieser vorschnelle Diskussionsabbruch die Herausforderung verdeckt, das Verhältnis von Selbststeuerung und Außenlenkung im Hinblick auf die sich schnell wandelnden Autonomiebedingungen immer wieder neu zu klären und zu verhandeln (z.B. angesichts des neu entstandenen Drucks durch Rankings, Verlage, Innovationsindikatoren, Klimakrise usw.). Ein Thema, das in diesem Kontext auffallenderweise ebenfalls ausgespart bleibt, ist die Frage, wem Autonomie gewährt werden soll. Vor dem Hintergrund der von den öffentlichen Universitäten (einst) erwarteten gesamtgesellschaftlichen Systemleistungen ist es alles andere als folgerichtig, die Universitätsautonomie – und die damit verbundene Freiheit von Forschung und Lehre – auf das Prinzip ‘autonomer’ Rektorate zu verkürzen. Die Rückmeldungen der Parteien zeigen, dass in diesem Punkt der Diskussionsbedarf erheblich ist.

In einem abschließenden, achten Block haben wir – in einem sehr offenen Modus – nach den Vorhaben der Parteien für die kommende Regierungs- und Legislaturperiode und nach ihren Prioritäten gefragt sowie nach Themen, die sie noch für wichtig und nennenswert erachten. Plädiert wurde hier beispielsweise für die Einführung eines Grundstipendiums (GRÜNE), für ein Drei-Säulen-Finanzierungsmodell für die Universitäten, bestehend aus gesteigerten (!) öffentlichen Mitteln, nachgelagerten Studiengebühren und privaten Drittmitteln (NEOS), sowie für die Schaffung eines eigenen FTI-Ministeriums (KEINE). 

Resümee und Ausblick 

Viele Hintergründe (und auch so manche ‘Rätsel’ verknappter Wahlversprechen) klären sich somit in den Volltext-Statements. Gerade die überraschende Zahl eigenwilliger und beherzter Vorschläge für neue Zugangsweisen zu altgedienten, festgefahrenen Fronten zeigt aber auch, an welchen Punkten es nun dringend anzusetzen und weiterzuarbeiten gilt:

  1. Allem voran besteht ein erheblicher Aufklärungsbedarf, denn der Dschungel der Hochschulpolitik ist für viele ein Dickicht aus Papieren, Interessen und Akteur:innen, das von Jahr zu Jahr undurchschaubarer wird. Das (europäische) Modell öffentlicher Universitäten gehört zu den Grundfesten unserer Demokratie. Sie sind bildungs- und demokratiepolitische Schlüsselinstitutionen und somit unverzichtbare Räume im Hinblick auf den Bestand einer offenen Gesellschaft und eines aufgeklärten Miteinanders, die freie Meinungsbildung und -äußerung sowie ideologiefreie Verständigung und demokratische Konsensfindung erst ermöglichen.  
  2. Entsprechend hoch sind der universitätspolitische Diskussionsbedarf und die Notwendigkeit, dem damit verbundenen Demokratiedefizit entgegenzutreten. Viele entscheidende, weitreichende, die Politik der nächsten Jahrzehnte (!) betreffende Grundsatzfragen und Weichenstellungen werden weder in der (medialen) Öffentlichkeit noch mit den Betroffenen diskutiert. Der Dialog mit ALLEN Ebenen des Universitäts- und Forschungspersonals muss – wie in anderen Ländern bereits erfolgreich etabliert – endlich eröffnet werden! Dieser Austausch ist umso dringlicher, weil einerseits das umfassende, universitätsinterne Know-how (in fast fahrlässiger Weise) weitgehend ungenutzt bleibt. Andererseits, weil – wie derzeit in Österreich – die Vertretungen von Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen von derselben Partei dominiert werden und diese zugleich seit langem die Wissenschafts- und Universitätspolitik bestimmt. Eine weitere, kaum berücksichtigte Dialogpartnerin ist die (internationale) Wissenschaftsforschung, die eine Vielzahl weitgehend einhelliger Befunde zur Universitäts- und Hochschulpolitik bereitstellt. Eine evidenzbasierte Politik wäre also leicht möglich!
  3. Aufgrund dieser Defizite wurden viele Lösungsmöglichkeiten bislang noch gar nicht ins Spiel gebracht. Da es viele Länder gibt, die vor denselben (!) Problemen stehen, existieren bereits viele, gut durchdachte und breit ausverhandelte Lösungsvorschläge, die wertvolle Orientierung geben können. Dies verlangt allerdings, sich von vertrauten ideologischen Positionen und altgedienten Fronten zu lösen. Auf diesem Weg lassen sich  breit mitgetragene, differenzierte, praxistaugliche Lösungen unseres Erachtens leichter erreichen, als viele vermuten.

Aus diesem Grund möchte NUWiss mit der hier präsentierten “Wahlkabine Universitätspolitik” eine neue, anlassbezogene Diskussionsgrundlage ins Spiel bringen, die an unsere im Mai 2023 veröffentlichten “Vorschläge für eine UG-Reform” anschließt.

In diesem Sinne soll unsere “Wahlkabine” zunächst als eine für die bevorstehende Wahl relevante, schnelle Orientierungshilfe in der entscheidenden letzten Woche vor der NR-Wahl 2024 dienen. Darüber hinaus ist sie mit ihren zwei Ebenen (Pro-Contra-Tabelle, Volltexte) aber auch als ein umfassendes, weiter zu diskutierendes Dossier und Informationsarchiv konzipiert, das nach der Wahl seine Gültigkeit keineswegs verlieren wird. Ihr eigentlicher Wert wird sich erst in den Wochen und Monaten nach der Wahl zeigen – also dann, wenn wir auf Basis dieser Diskussionsgrundlage (einschließlich ihrer Commitments!) den Dialog mit den Parteien fortsetzen. Man darf gespannt sein, was sich hieraus noch entwickelt bzw. entwickeln lässt. Stay tuned! 

5 thoughts on ““Wahlkabine Universitätspolitik”: Fragen und Antworten zur Zukunft der österreichischen Universitäten”

    1. Die ÖVP hat einer Aufnahme in die Pro- und Contra-Tabelle nicht zugestimmt. Wir weisen im Absatz direkt vor der Tabelle darauf hin.

  1. Tolle Zusammenstellung und Analyse, ich bedanke mich dafür! Ich hoffe, dass nicht nur die Wähler*innen profitieren, sondern dass sich auch die Parteien mit dem Erarbeiteten auseinandersetzen!

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