Nachhaltige Forschung und Lehre vs. Paragraf 109?
Am 13.3. fand eine vom Institut für Soziologie der Uni Wien organisierte Podiumsdiskussion zu Forschung und Lehre unter dem §109 UG statt.
Am Podium vertreten waren:
- NrAbg. Eva Blimlinger
- Prof. Tilman Reitz, Universität Jena
- Cornelia Dlabaja, ÖAW Wien
- Heribert Wulz, stv. Abteilungsleiter BMBWF
- ao. Prof. Karl Reiter (Betriebsrat wissenschaftliches und künstlerisches Personal)
- Stephan Pühringer, JKU Linz
- Moderation: Assoz. Prof. Elisabeth Scheibelhofer
Elisabeth Lechner (@FemSista) hat live von der Diskussion getwittert und uns ihre Tweets dankenswerterweise zur Verfügung gestellt.
Wir haben sie zur einfacheren Lesbarkeit ein wenig nachbearbeitet, allerdings keinerlei inhaltliche Änderungen vorgenommen.
Disclaimer: Dieser Text basiert auf Live Tweets, kein Gewähr für Richtigkeit aller rechtlichen Inhalte bzw. Vollständigkeit der Aussagen.
Heribert Wulz aus dem BMBWF (Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung) schildert seine Sicht auf den Kettenvertragsparagraphen 109: „Es ist alles sehr komplex. Es geht um attraktive Karriereperspektiven, die Phasen der Unsicherheit möglichst kurz zu halten. Das wäre die Anforderung. Dem gegenüber stehen Qualifikationsstufen, projektbezogenes Arbeiten und notwendige Verfügbarkeit von Nachwuchsstellen. Auch das EU-Recht in Sachen Befristung. Nun geht es um die (aus unserer Sicht noch schlimmere) Novellierung von 2021. „Befristung in Permanenz“ ist keine Lösung.
Die Neugestaltung ist ein Kompromiss, die Forderungen lagen weit auseinander. Es ist eine Sache der Universitäten wie Karrieremuster gestaltet werden, auch in den Leistungsvereinbarungen. Ausbau der Senior Lecturer.“ (Kommentar Autorin: Wo bleibt dann die forschungsgeleitete Lehre!?)
Was brauchen Universitäten für sehr gute Lehre und Forschung? Cornelia Dlabaja sagt: „Drei Dinge: Ausfinanzierte Universitäten, Dauerstellen für Daueraufgaben, Diversifizierung der Karrierepfade. Professur als ein Weg unter vielen. 80% von uns sind befristet, wir sind kein Nachwuchs! Der 109er muss weg, es braucht Tenure-Track Stellen, unbefristete Senior Scientist Stellen und die Professur als einen Weg von vielen Cornelia Dlabaja ‚So wie’s jetzt is, funktioniert’s ned!‘ “ 💥
Stephan Pühringer von der JKU Linz weist darauf hin, dass der Konflikt auf dem Rücken des Mittelbaus ausgetragen wird und dass weder Universitäten noch Ministerien handeln. Der alte Mittelbau wird bald in Pension geht, die Zukunft nicht länger schaffbar für ganz Viele. Diese Zustände führen neue soziale Filter ein. Gerade in Geschlechterfragen ist die Lage fatal. 16h Lehrverpflichtung (Anm.: bei Anstellung als Senior Lecturer) führen nicht zu Qualitätsvoller Forschung und Lehre. 🔥 👏🏻
Eva Blimlinger wäre dafür das Kuriensystem aus dem 17. Jhdt. (Ober-, Mittel-, Unterbau) abzuschaffen, aber das ist mit dem Koalitionspartner nicht möglich. Heribert Wulz erklärt dass die Kettenverträge eine Reaktion auf die Diskussionen aus den 1990igern sind. Konkret sind sie entstanden aus der als zu hoch empfundenen Pragmatisierung und starrer Autonomie der Universitäten.
Wie könnten entprekarisierte Beschäftigungsverhältnisse aussehen?
Heribert Wulz: Es bestehen Unterschiede zwischen Universitäten (z.B. Medizin <> Kunst), aber das Gesetz muss für alle Unterschiede da sein. Zur Frage der Existenz fehlender Karrierepfade: Ja und Nein. In letzten Leistungsvereinbarungen Anstieg der Tenure Track Stellen vereinbart. Bei Tenure Track-Stellen geht es schon um Nachwuchs.
Eva Blimlinger: Nicht alle Berufungen brauchen noch Habilitation, in Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften besteht diese Anforderung dennoch weiterhin. Mit der Einführung des PhD, wäre Habil als Kriterium eigentlich nicht mehr nötig. (PhD als Ersatz für Habil gedacht.) Oft wird es von Universitäten nicht ebenso umgesetzt.
Karrieremöglichkeiten für Senior Lecturer?
Eva Blimlinger sagt es könnte auch unbefristete Lehraufträge geben. Auf der Akademie der Bildenden Künste wurde entfristet (93% der Fälle). Ansonsten wird ein Jahr davor Bescheid gegeben. Universitäten sollten das nützen. Es besteht sonst Verlust an Qualität!
Befristung ist vor allem arbeitsrechtliche Frage. Eva Blimlinger ist gegen Aneinanderreihung von befristeten Verträgen. Das war ja der Anlass für die Novellierung von Paragraf 109.
Tilman Reitz: „Zeitraum für Befristung zu lange und zu kurz zu gleich. In anderen Bereichen geregelt, man macht sich als befristet wissenschaftliche Mitarbeiter:in kaputt für den Rest des Arbeitsmarkts und bekommt irgendwann die eigene Arbeit radikal entwertet. Der Begriff der Qualifizierung wird missbräuchlich verwendet, das betrifft Tenure Track und die Qualifizierungsvereinbarungen. (Andere Leute werden befristet angestellt von Tenur Track Inhaber:in, damit Tenure Track Inhaber:in vielleicht durchkommt.)
Qualität der Wissenschaft leidet! Fälschungen nehmen zu, Experimente sind nicht replizierbar. Tilmann Reitz wagt die Vermutung, dass das mit den Arbeitsbedingungen zu tun haben könnte. Große Zustimmung aus dem Publikum 👏🏻💥
Elisabeth Scheibelhofer fragt nach Faktor Geschlecht. Für die Anstellung über Tenure Track Stellen braucht man ca. 24 Mon Auslandserfahrung, kein Anstellungsverhältnis über die Universität Wien, auswärtig finanziert, es darf keine Karenzzeit hineinfallen. Genauso fliegen Frauen 2023 aus Bewerbungen raus. „Fetisch Internationalisierung“ der Universität Wien.
Wir sind hochgradig vernetzt! So geht Internationalisierung nicht – Elisabeth Scheibelhofer
Karl Reiter sagt der Feind des Uniwesens ist der Konjunktiv. Ängste Job zu verlieren, nicht zu wissen wie es weitergeht trotz hervorragender Leistungen. (BTW: der Saal ist voll 💥)
„Stress fördert Kreativität. Wer auf diese Idee gekommen ist, weiß ich nicht, i bin jo nur Botaniker“, sagt Karl Reiter. „Wer ist schuld an der Misere? 3Jahre Corona, Novelle des Paragrafen, 1. Oktober 2021, im Ministerium wollen sie nicht so schnell was ändern.“
Eva Blimlinger wirft ein: Gewerkschaft GÖD (Gewerkschaft Öffentlicher Dienst) wollte keine Verlängerung des Paragrafen nach der zweiten Kette; Blimlinger schon.
Karl Reiter: Ministerium hat am halben Weg kalte Füße bekommen zu direkter Entfristung – das findet auch an der UniversitätWien statt. Was fehlt sind Karriereperspektiven für alle. Tenure Tracks müssen für alle offen stehen, nicht nur wenn in der Ausschreibung die Möglichkeit inkludiert war, so Karl Reiter.
Heribert Wulz aus dem BMBWF unterstützt: Wer auf Dauer auf der Universität eine Tätigkeit ausübt, soll eine dauerhafte Anstellung haben. Warum ist das nicht so? Geld alleine ist es nicht. Es gab eine Steigerung der Unibudgets von 40%. Die Personalstruktur hat sich dennoch nicht verändert. Die Universitäten müssen gestalten.
Kettenverträge streichen und ins allgemeine Arbeitsrecht einführen, wurde diskutiert. Heribert Wulzs Einschätzung dazu: Universitätsleitungen würden dann noch vorsichtiger agieren, viele arbeitsrechtliche Prozesse würden folgen (Anmerkung Autorin: Glaube die Arbeiterkammer und der ÖGB (Österreichischer Gewerkschaftsbund) würden da schon helfen. ✊🏻)
Allgemeines Arbeitsrecht wäre keine Verbesserung laut Heribert Wulz. Respektive Gender: Das Thema wird ernst genommen (Anmerkung Autorin: Mehr sagt er dazu nicht. 😅 Okay.)
Anekdote von Nachwuchswissenschaftler (Politikwissenschaft) aus dem Publikum (28 Jahre, 4-5 Jahre hier gearbeitet): Er ist unter den Personen die am längsten hier gearbeitet haben. Anfrage für Lehre musste er ablehnen, sonst würde er das später verlieren. Wie hilft ihm der Paragraf?
Heribert Wulf: „Des is a absurde Auslegung.“
Eva Blimlinger: Dafür gibt es den Betriebsrat. Schuld ist immer der Gesetzgeber (Karl Reiter: Also du.) Auslegung ist Aufgabe des Betriebsrats. Es ist deren Aufgabe solche Verträge zu prüfen und zu verbessern.Gewerkschaft GÖD wollte in den Diskussionen allgemeines Arbeitsrecht. Eva Blimlinger befürchtet, dass es sonst gar nicht zu Anstellungen käme. Unmengen Prozesse fürchtet sie nicht, man müsste darauf bestehen, dass die Universitäten unbefristet anstellen.
Cornelia Dlabaja dazu: Lehre und Forschung sind betroffen, aber auch das Leben. 1100 Personen in einer Befragung an Universität Wien erreicht. 1/3 ist betroffen von Kettenvertragsregelung. 58 Forschungsprojekte sind abgewandert, weil die Kette zuschlägt. Es ist kein Einzelfall, es ist ein systemisches Problem, das weder Betriebsrat noch Arbeiterkammer lösen kann. 34.000 Mitarbeiter:innen an den 22 Universitäten sind betroffen. Für Personen aus Arbeiter:innenfamilien ist es noch schwieriger geworden. Cornelia Dlabaja ist First Generation Academic, sie hatte eine 0,5% Chance das zu schaffen. Jetzt ist es noch schwieriger.
Tilmann Reitz: All diese Regelungen haben eigentlich Schutzfunktion für Arbeitnehmer:innen, wenn das nicht angewendet wird, hat das keinen Schutz. Es braucht kein Sonderbefristungsrecht. Universitäten sollten eng an Arbeitsrecht herangeführt werden. Man will schon nicht so das Böse, aber man will das Gute nicht sonderlich stark. Gute Arbeitsbedingungen müssen zentrales Ziel sein neben Kennzahlen und Wettbewerb. Es braucht harte, einklagbare gesetzliche Regelungen. Was mit uns gemacht wird, hat verbrecherischen Charakter.
Stephan Pühringer: Wir haben ein Demokratieproblem an den Universitäten. Eine feudale Struktur, die bestimmt ist von Neoliberaler Managementlogik mit Konkurrenzdruck. Was würde passieren, wenn der 109er weg wäre? Einfach keine Anstellungen mehr? Perfide Logik. „Läuft aus“ trotz Exzellenz. Dieser „sanfte Tod“ muss aufhören! Das sind keine Einzelschicksale! Das ist ein strukturelles Problem, das man strukturell und kollektiv lösen muss. 🔥 Man ein Problem mit mittel- und längerfristiger Forschungsorientierung. Publikationsdruck schadet Qualität, es gibt aufgeblasene Drittmittelgeber statt Basisfinanzierung. So werden wir die sozial-ökologische Transformation nicht lösen! Die derzeitigen Strukturen stehen langfristiger, interdisziplinärer und qualitätsvoller Forschung diametral entgegen. 💔
Karl Reiter: „Sie dürfen leider nicht weiterbeschäftigt werden“ Paragraf 109 ist kein Beschäftigungsverbot, es ist Zeit für unbefristete Anstellung! Das heißt der 109er, kein Beschäftigungsverbot, ist eigentlich nur das Verbot einer *befristeten* Beschäftigung.
Karl Reiter weiter: Rechtsverbindliche Auskünfte können nur die Personalabteilungen der Universitäten geben, wie lange man noch befristet arbeiten darf, nicht der Betriebsrat. Paragraf 143 bereitet die eigentlichen Probleme mit seinen Übergangsbestimmungen, weil zusätzlicher Lektor-Vertrag in die Kette zählt! Auch wenn die prae-doc Stelle selbst nicht gezählt hat vor 2021, die Lehre nebenbei zählt schon. „4 Jahre die nicht zählen als Übergangsbestimmung sind so quasi sinnlos“, Karl Reiter. Denn aus Freude und Leidenschaft an der Vermittlung will man natürlich auch unterrichten. (Anmerkung Autorin: Genauso ist es!)
Eva Blimlinger: Wir doktern seit 20 Jahren herum. Es führt nicht dazu dass wir entprekarisierte Verhältnisse haben. Auch Rechtsverbindlichkeit der Personalabteilung können vor Arbeitsgerichten bestritten werden mit Betriebsratsklagen. Darauf muss man es ankommen lassen, trotz Risiko für die Person.
Ad Kurien abschaffen: Betriebsrat vertritt alle gleichermaßen, sagt Karl Reiter.
Eva Blimlinger und Heribert Wulz aus dem BMBWF verstehn nicht wo das Problem ist in Sachen Übergangsbestimmungen. Einer Kollegin im Publikum wurde die freiwillige Lehre vor 21 angerechnet. Heribert Wulz will sich das konkret anschauen und bittet um Mail.
Vielen im Raum ist das passiert. Es scheint nicht rechtens zu sein. Mails werden geschrieben ans BMBWF. Rechtsverbindlichkeit ist über Betriebsrat festzustellen sagt Eva Blimlinger.
Juristin und Historikerin im Raum mit Erfahrung in der Privatwirtschaft sagt: Kein Unternehmen würde Leute 8 Jahre ausbilden, sie top Leistungen erbringen sehen und dann gehen lassen. Gerade auf ökonomisierten Universitäten ist das doch irre. Benefits? So bekommen wir keine neuen Zeilingers.
Elisabeth Scheibelhofer: Was sind konkret die nächsten Schritte?
Eva Blimlinger: Unileitungen dazu zu bringen unbefristet anzustellen. Dafür braucht es Druck. Zwischenruf aus dem Publikum. Das Gesetz ermöglicht doch 8 Jahre Probezeit erst. Mit sanktionslosem Druck ist die Regierung gescheitert.
Eva Blimlinger sieht die Verbesserung nicht über Gesetze. Wieso kann man die Verhinderung der Abwanderung von eingeworbenen Projekten wegen Kette nicht in die Leistungsvereinbarungen reinnehmen? Laut Eva Blimlinger ist das im Kollektivvertrag zu regeln und es sind ÖGB und GÖD gefragt.
Aber 80% unbefristete Stellen könnte in den Leistungsvereinbarungen stellen. Das würde Eva Blimlinger machen, wenn sie könnte. Normales Arbeitsrecht hält sie nicht für umsetzbar. Es gäbe keine Anstellungen mehr. „Aber dann ändert man es wieder, das ist Politik“, so Zwischenruf.
Heribert Wulz nimmt mit: Es gibt divergente Auslegungen zu manchen Bestimmungen, die er nicht nachvollziehen kann. Intensivere Diskussion mit Universitäten sind nötig. Wie kann der rechtliche Rahmen gut gelebt werden? Da ist noch ein Weg zu gehen. Ministerium drängt darauf, dass Universitäten Tenure Track Stellen mehr nützen. Schwieriges Thema in Leistungsvereinbarungen, aber da haben wir in ihm einen Verbündeten. (Scheibelhofer: Wir werden sie wieder einladen. 😂)
Karl Reiter hat Ministeriumsvertreter lange Zeit als Verbündete gegen Rektorate gesehen. Er hat Unterstützung erfahren. Mit Novellierung von 109 ist das schief gelaufen. Dass Heribert Wulz die Kritik von Paragraf 143 nicht nachvollziehen kann, zeigt das. Auch erfolgreiche FWF (Forschungsförderungsfond) Projekte müssen derzeit Universität verlassen
Karl Reiter: Es läuft eine Klage am Arbeits- und Sozialgericht. Es braucht drei Kolleg:innen die sich namentlich als Kläger finden für eine Betriebsratsklage. Dann braucht es Support von Arbeiterkammer und ÖGB für Übernahme der Kosten. Er sucht wen, der klagen würde wegen Vertrauensgrundsatz. Plan: noch 8 Jahre an der Universität arbeiten. Problem: neue Gesetzeslage erlaubt es mir nicht das eingeworbene Projekt zu starten. Klage vor Verfassungsgerichtshof.
E-Mails schreiben an Heribert Wulz und Eva Blimlinger. Am 23.3. zur Demo gehen.
Nächstes Podium am 10.Mai um 17 Uhr – hochrangig besetzt! Und bei der Betriebsversammlung und der Demo am 23.3. sehen wir uns sowieso, gell?
Elisabeth Scheibelhofer zum Abschluss: Wenn dieses Land weiterhin gute Forschung leisten möchte und Studierenden gute Lehre anbieten möchte, braucht es gute, schnelle Lösungen; trotz allem Österreichtum. 🎤